Wenn mir jemand ein trauriges Erlebnis erzählt oder seine Ängste anvertraut bin ich oft ratlos. Besonders wenn mir dieser Mensch am Herzen liegt tut es mir unendlich leid, wenn er oder sie traurig ist. Das sage ich dann auch meist. Es tut mir leid. Aber dann überkommt mich dieses matte Gefühl der Ratlosigkeit, was ich dem anderen noch sagen kann. Denn meine Worte können es meist nicht besser machen. Denke ich mir. Und dann sitzen wir da und sind still. Und ich frage mich, ob die Stille unangenehm für den anderen ist und was ich mir wünsche, wenn ich jemandem etwas Trauriges anvertraue. Und das ist so verdammt schwer zu sagen. Denn manchmal brauche ich dieses und manchmal jenes und manchmal nichts und manchmal bin ich ja selber ganz ratlos, was ich selbst brauche oder möchte. Wenn Mein Drache tobt und schreit und sein Brüllen meinen Kopf mit Zweifeln und Ängsten füllt, dann fällt es mir ungemein schwer, zu hören, wonach mein Herz sich sehnt. Und wenn mir dann jemand gegenüber sitzt und sagt „Es tut mir leid, dass es dir schlecht geht. Aber vielleicht hilft es dir ja, das Positive zu sehen. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker!“, dann würde ich gerne aufstehen und ihm oder ihr auf die Schnauze hauen. Ich werde richtig wütend, weil ich ja nicht dumm bin und das weiß, aber sich diese Sätze nur so schlau sagen lassen, nicht aber umsetzen. Denn oft ist es bei Depressionen so, dass man das Positive gar nicht erst sehen kann. Man will, weil man weiß, dass es da ist, aber es geht nicht. Es funktioniert einfach nicht. Aber viele der Menschen, die so einen Spruch ablassen wissen nicht, wie es sich anfühlt, einen schuppigen Mitbewohner zu haben, der in dir randaliert. Wie schon so oft betont ist das kein Vorwurf. Aber ich möchte meine Gefühle gerne zum Anlass nehmen, ein bisschen Vermittlungsarbeit zu leisten. Vermittlung zwischen Betroffenen und Mitstreitern. Denn auch wenn ich dem anderen gerne ein High Five in die Visage geben möchte, halte ich mich selbstredend zurück. Ich bin keine dumme Ziege. Mittlerweile erinnere ich mich daran, dass diese schlauen Phrasen sich nur für mich so hohl und platt anhören. Denn der andere meint damit: „Ich bin ratlos aber bitte, bitte gib nicht auf. Ich habe Hoffnung, dass es besser wird und ich bin da. Auch wenn ich dir deinen Kampf nicht abnehmen kann.“ So ist es zumindest bei mir. Denn auch ich werfe ja mit klugscheißenden Worten um mich, die euch helfen sollen, das Licht zu sehen, nicht die Schatten. Aber man ist eben gefangen mit seinen Gefühlen, gefangen in seiner Filterblase. Der Betroffene reagiert vielleicht flapsig und mit Augenrollen auf so einen gut gemeinten Ratschlag. Bitte, liebe Mitstreiter, nehmt es ihm nicht übel. Statt einem „stay positive“ hilft vielleicht ein „Es tut mir leid, mir fehlen die Worte. Aber ich bin da.“ Meist hilft das schon. Denn es ist kein trostloser Versuch, Mitgefühl in Form von Tageskalendersprüchen auszudrücken, sondern die Wahrheit. Und Ehrlichkeit, Offenheit, ist die Grundlage für Kommunikation. Ich kann nicht von meinem Gegenüber verlangen, dass er mich versteht. Aber ich kann Ehrlichkeit erwarten. Und wenn ich schon Verständnis für meine seelischen Abgründe erwarte, dann verdient auch mein Gegenüber Verständnis für Ratlosigkeit. Für Ohnmacht. Oder auch für Wut und Trauer über diese Ohnmacht. Und wir haben ja schon besprochen, dass etwas unsagbar Beschissenes auch ruhig als dieses bezeichnet werden darf, ohne dass darauf ein Aber folgen muss. „Es tut mir leid, dass es dir schlecht geht. Ficke ist das. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich bin da. Doofe Ficke.“ Wenn es ganz schlimm ist, darf noch ein allumfassendes „Hurensohn“ hinterher geschoben werden. Also bitte, liebe Mitstreiter, seid uns nicht böse, wenn auf eure lieb gemeinten Sprüche nur ein müdes Lächeln und ein „Ja, ich weiß“ folgt. Und nehmt es uns nicht übel, wenn Betroffene unter sich solche Phrasen austauschen und so tun, als sei es das Netteste, das wir je zu hören bekommen haben. Es gibt unter manchen von uns so etwas wie eine unausgesprochene Regel: Wir dürfen das, wir sind auch verrückt. Wir dürfen uns gegenseitig vieles sagen, weil wir wirklich nachempfinden können, was es bedeutet den Kampf mit dem wild gewordenen Monster in uns als Chance zur Verbesserung des Dialoges mit uns selbst zu sehen. Wenn man zum Clan gehört, dann darf man das. Wenn man nicht direkt dazugehört, dann nicht, I am so sorry! Aber, liebe Betroffene, ich bitte auch euch um Nachsicht! Nehmt es dem Mitstreiter nicht krumm, dass er ratlos ist. Versucht euch am Gespräch, in dem ihr euch erklärt, egal wie seltsam und wirr alles erscheint. Auch wenn es mühselig ist. Schritt für Schritt. Malt Bilder mit euren Worten, zeichnet eine Melodie von eurem Inneren. Wenn der andere es nicht nachvollziehen kann, gebt ihm keine Schuld. Seid froh, dass eure Liebsten davon verschont bleiben. Aber traut euch, zu sagen, was ihr braucht. Auch wenn es Schweigen ist. Auf ein „Darf ich dich in den Arm nehmen?“ darf ein Nein folgen. Aber auch ein Ja, wenn ihr möchtet. Bietet dem anderen immer etwas an, was er annehmen oder ablehnen kann. Nehmt es nicht persönlich, wenn drei oder zehn Neins aufeinander folgen. Und die anderen: Traut euch zu sagen „Ich weiß es nicht“. Denn allzu oft wäre das die Wahrheit, so meine Erfahrung, aber wie soll man das jemandem erklären? Ich weiß nicht, wie ich mich fühle? Wieso denn nicht? Ich weiß es nicht… Aber wenn es doch so ist? Akzeptiert, dass es so etwas gibt. Dass man zu viel auf einmal oder auch gar nichts spüren kann. Und sagt „Das verstehe ich nicht. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Aber ich bin da.“ Wenn wir nämlich aufhören zu reden, zuzuhören und Verständnis füreinander zu haben, dann entfernen wir uns. Dann brechen Freundschaften, dann entfernen sich Herzen. Denn wenn beide ohnmächtig in ihren Seifenblasen herumirren und nur noch fragende Stille herrscht, dann war der einst so gut gemeinte Rat teuer. Und man denkt darüber nach, ob es das Überwinden der Scham nicht wert gewesen wäre und man mit einem kurzen Gespräch nicht hätte doch retten können, was nun verloren scheint. Bei mir war es so. Ich habe schon Verbindungen mit Menschen zerbröseln lassen, die mir eigentlich immer positive Energie und viel Freude geschenkt haben. Aber ich konnte damals nicht sagen „Du musst keine Worte finden. Ich bitte dich nur, mich nicht zu vergessen, wenn meine Kraft und meine Zeit eine Weile nur für mich allein ausreicht.“ Und der andere konnte nicht sagen „Es tut mir leid. Mir fehlen die Worte, ich fühle mich hilflos aber ich bin da. Und ich bleibe, wenn du magst.“ Und wir sind auseinandergedriftet und trugen das Gefühl, dem anderen eine Erklärung zu schulden gleichermaßen in uns. Und dann reißt sich einer nach Ewigkeiten doch zusammen und schreibt und der andere ist erleichtert und froh, wünscht man sich doch einfach nur Klarheit über die damalige Situation und dass der andere weiß, dass man ihm nichts nachträgt. Und all die schmerzlichen Augenblicke, in denen man sich an gemeinsame Momente erinnert und sich fragt, ob der andere wohl wütend ist, die hätte man sich sparen können. Denn wenn beide doch ratlos sind und sprachlos und traurig aber dennoch hoffnungsvoll und mit gutem Willen bereit, zu kommunizieren, wieso dann nicht offen und gemeinsam?
PS: Hätte ich jedes Mal, wenn ein gut gemeinter Rat mein Blut zum Kochen gebracht hat, 10 Cent bekommen, ich wäre jetzt so reich, dass ich meinen Drachen sicher für seinen Auszug bezahlen könnte.
Oder ich könnte ihm zumindest eine finanzielle Gegenleistung für sein Schweigen anbieten. Meine Top 5 der sinnlosesten Ratschläge, die ich bisher gehört habe:
1) „Machen Sie doch ein bisschen Sport, das reguliert ihren „Alltagsstress“
sicher.“ – Jeder Arzt, immer.
2) „Vielleicht siehst du das Ganze auch zu negativ und siehst einfach mal die
Chancen, die sich dadurch ergeben!“ – Ein guter Freund, der wirklich sehr
hilflos war.
3) „Das ist ja voll cool, so ein Alarmsystem zu haben.“ – Ein Bekannter, der es
hätte besser wissen müssen.
4) „Manchmal hilft es auch, die Ernährung umzustellen. Damit der Körper wieder
lebendiger wird.“ – Ein gutgemeinter Rat einer Freundin.
5) „Willst du nicht vielleicht in eine Klinik gehen? Die machen dich da sicher
wieder ganz.“ – Eine wohl sehr ratlose Bekannte.
Ich bin gespannt auf eure Perlen der gut gemeinten Ratschläge!
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