Ein warmer Wind umkreist mich, wirbelt orange- und rosafarbene Blätter auf und lässt mein Kleid verspielt tanzen.
Der Weg vor mir führt an einem Feld vorbei, dicht bewachsen erstreckt es sich zum Horizont. Das Licht ist lila-blau, leises Vogelgezwitscher macht den Anblick perfekt.
Ich schaue an mir herunter. Wieso genau trage ich ein geblümtes Sommerkleid? Die Antwort lässt auf sich warten, meine Gedanken werden vom Klimpern eines Halsbandes zerstreut. Durch den hüfthohen Weizen bahnt sich eine Hündin ihren Weg zu mir, die Dank unserer Bonusmama Teil unserer Familie war.
Sie war unsere Hündin. Vor über zehn Jahren tapste sie schon über die Regenbogenbrücke.
Die Wärme um mich herum erfüllt meinen Körper, Zufriedenheit macht sich breit. Ich kraule Sherrys weiche Ohren, vergrabe mein Gesicht in ihrem Fell, sie riecht nach Zuhause.
Als ich aufblicke und mich umschaue ist das Weizenfeld weg, stattdessen befinde ich mich jetzt auf dem Elefantenfriedhof aus König der Löwen. Über uns braut sich ein Sturm zusammen, die Boxerhündin blickt nervös zu mir auf. "Keine Ahnung, Mausi." Auch ich spüre die Anspannung in der Luft, irgendetwas unschönes passiert hier gleich.
Noch bevor ich ein Versteck erspähe, spannt er seine ledrigen Flügel auf und verdunkelt die vor Sekunden noch so harmonische Traumwelt. Ich spüre seine Wut. Angst trifft mich wie ein Speer, durchbohrt mein Herz. Es beginnt wie wild zu schlagen, das Atmen fällt mir schwer. Ich will nur weglaufen.
Der Drache schreit los, ohrenbetäubender Schmerz füllt meinen Kopf, ich schreie, stumm, denn das ist im Traum meistens so; niemand kann mich hören.
Träume werden meist innerhalb von Sekunden produziert und abgespielt, anfühlen können sie sich wie Stunden oder Tage. Für mich sind es oft Unendlichkeiten.
Während der Drache tobt und auf mich einschlägt, läuft Sherry davon. Verständlich, ich würde ihr gern hinterher. Aber ich kann nicht. Meine Arme schützend über meinem Kopf, versuche ich die Prankenhiebe und Feuerbälle abzuwehren - vergebens. Sie treffen mich von allen Seiten, hinterlassen klaffende Wunden und ein Meer aus Traurigkeit, in dem ich fast ertrinke.
Gerade als mir die Kraft zum Überleben schwindet, schrecke ich auf. Ich bin klatschnass geschwitzt. Mein Herz rast immernoch, mein Magen rebelliert, ich starre panisch in die Dunkelheit. Nicht mein Zuhause. Neben mir vernehme ich ruhiges Atmen. Neid zerschneidet mich wie eben noch die Krallen des Monsters, das meine Seele besetzt. Ich hasse es, dass ich angsterfüllt aufwache, dass ich Kämpfe austragen muss, während jemand neben mir Erholung findet. Ein gefundenes Fressen für den Drachen, er labt sich an dem räudigen Gefühl der Eifersucht. "Na, Puppe, schmeckt, mh?" Schmatzend leckt er sich die blutigen Zähne.
Ich flüchte jetzt, hier, schnappe leise meine Sachen und ziehe die Tür hinter mir zu.
Weg von hier, weg von dem Guten, das ich nicht haben kann, weg von dem, was mich daran erinnert, dass es mir so geht, wie es mir geht. Die kühle Morgenluft verlangsamt meinen Puls, ich kann endlich wieder tief durchatmen. Mein Kopf verarbeitet die letzten 10 Minuten, Ekel mir selbst gegenüber breitet sich aus.
Werde ich jemals aushalten, dass jemand nicht nachfühlen kann, wie es mir geht und diesen Neid loswerden? Natürlich gönne ich niemandem eine Depression, niemand verdient eine Angststörung. Aber ich muss trotzdem damit leben. Und das fällt mir manchmal so unglaublich schwer.
Besonders in Beziehungen zu Nichtbetroffenen. Egal auf welcher Ebene wir uns befinden, da bleibt dieser Rest von Neid, dass jemand keinen Drachen oder Monster im Herz kennt. Es gab da diesen einen Menschen in meinem Leben, der all meine hässlichen Seiten zu sehen bekam, der all meine Schwächen kannte und der mich stützte, egal wie verwundet ich aus einem Kampf mit dem Drachen herauskam.
Ihn zu lieben fiel mir leicht, er ist wirklich liebenswert, außerdem kann ich das einfach gut: andere lieben. Was mir nicht so leicht fällt ist das Fallenlassen bei anderen, das Ruder abgeben und mich in einen schützenden Hafen begeben bedeutet für den Drachen Kontrollverlust. Aber selbst das fiel mit ihm leicht. Von Anfang an, weshalb mein Herz wahrscheinlich recht schnell wusste, dass es ihn nie wieder loslassen würde.
Wie immer hatte es recht.
Und dieser Mensch hat mir wohl das größte Geschenk gemacht, das ich neben meinem Dasein auf diesem Planeten (danki Mami & Paps) und der Klinik (danki Kiki 1.0) jemals bekommen habe: die Einsicht, dass ich liebenswert bin. Dieser Mensch hat keinerlei verwandtschaftliche Verpflichtungen mir gegenüber, wir haben uns durch (un-)glückliche Lebensumstände kennengelernt und er hat mich einfach geliebt. Bedingungslos und in jeder Situation, in der mein Drache sein hässliches Gesicht zeigte, trotz meiner Ängste und Schatten. Romantiker:innen schreien jetzt "Nicht trotzdessen, WEGEN ihnen! Man liebt den Menschen immer komplett", blablabla, üärgh. Sorry, aber nein. Psychische Krankheiten sind a fucking lot of shit, für Betroffene und Mistreiter:innen, das muss man nicht lieben und das ist auch okay.
Und doch wurde ich so sehr geliebt, dass sich endlich dieser eine Schalter bei mir umlegte, dieses eine Puzzleteil, das mein Herz so schmerzlich vermisste, das formte sich aus dieser Liebe und hat es ein unbeschreiblich großes Stück geheilt.
Selbstliebe. "Ich bin liebenswert." Mit allem drum und dran. Ich bin nicht zu viel, ich bin nicht beschädigt, ich bin keine B-Ware. Ich bin erste Wahl, immer und immer wieder.
Die Dankbarkeit für dieses Geschenk übersteigt meinen Wortschatz, ich bitte um Entschuldigung. Und trotz all dem, trotz all der Dankbarkeit, all der Liebe, all der Loyalität und dem Vertrauen, dieser kleine Dorn im Herz ist nie verschwunden. Neid. Neid auf ein Leben ohne Depression und Angststörung. Auf ein Leben ohne Übelkeit. Ein Leben ohne rote Leuchtschrift im Gesicht, die allen mitteilt, dass der Magen die inneren Kämpfe austrägt. Und ich schäme mich für diesen Neid. Scham, auch eine Leibspeise des Drachens..
Als der gemeinsame Weg ein Ende fand damals sind beide Herzen gebrochen. In millionen Einzelteile zersprungen wohl eher.
Und trotzdem gab es da diesen Funken Erleichterung für mich. Ganz klein, fast unspürbar war er, aber seine Existenz konnte ich nicht anzweifeln. Erleichterung,
allein zu sein, um nicht der Teil der Beziehung zu sein, der psychische Krankheiten zum daily life macht. Erleichterung, nicht mehr so oft neidisch darauf zu sein, dass mein Partner nicht zum Klo
rennen muss, wenn es schlechte Zeiten durchzustehen gilt.
Neid ist hässlich und ganz schwer auszuhalten, besonders wenn man ihn nicht rauslassen kann, weil das Gegenüber gar nichts für ihn kann und diese hässliche Fratze nicht verdient hat. Aber er sticht und brennt sich ein und ganz häufig sorgt er dafür, dass ich mich zwar unfassbar einsam fühle, wenn ich wirklich auf mich allein gestellt bin, während ich mit meinem Drachen kämpfe, aber wenigstens wünsche ich mir nicht die ganze Zeit, dass jemand neben mir auch so empfindet. Oder dass ich eben auch verschont bleibe, wie es dir besser passt, Universum.
Außer dem Neid gibt es noch etwas, das den Drachen ausflippen lässt, wenn jemand anderes einen Platz in meinem Leben bekommt: die Angst, mich zu
verlieren.
Vor zehn Jahren musste ich die bittere Pille schlucken, dass sich die coole Kiki, die so toll für ihre Liebsten da war und sich auf der Arbeit verausgabte, richtig reingeschissen hat in Sachen Selfcare. Sie konnte das nicht, kannte das Wort vielleicht, aber hatte null Plan, wie das geht. Ich habe mich damals von mir selbst verraten gefühlt, musste in vielen Therapiesitzungen lernen, mir selbst zu verzeihen. Und wahrscheinlich habe ich das noch nicht ganz, weil die Folgen so weitreichend für mein Leben waren. Und jetzt klingeln gleich alle Alarmglocken ganz laut, wenn ich nicht gut zu mir bin, wenn ich Schabernack mit mir treiben lasse und nicht auf mich aufpasse. Dann rastet der Drache richtig aus. Er brüllt mich dann nicht nur an, er attackiert mich, stellt meine Entscheidungen in Frage und säht Zweifel und Misstrauen. Er liebt das Drama. "Was ist, wenn das nicht gut für uns ist? Wieso sind wir nicht allein, allein gibts weniger Emotionen zu handeln UND WIR HABEN DOCH EH SCHON GENUG!!" schreit er laut, mit hochgerissenen Klauen und angsterfülltem Blick. "Das geht immer schief, andere Menschen bedeuten Workload und Workload HABEN WIR DOCH GENUG!" Ahh, die Angststörung, die sich leidenschaftlich auf meine Beziehungen stürzt, welch altbekannte Begleitung. Und dann darf ich Gespräche führen, mit mir, mit dem Drachen, mit den Menschen. Darf für Sicherheit durch Erklärungen sorgen, darf Grenzen ziehen und versetzen lernen..
Es bedeutet also immer noch ein bisschen Überzeugungsarbeit, dass das schon okay ist, andere Menschen ins Leben zu lassen und einen Teil meiner Kapazitäten zu teilen. Auch wenn das Angst macht und Kraft kostet.
Puuh, erklärt das mal jemandem, der von Drachen und Monstern keine Ahnung hat.
Es ist ein immerwährender Drahtseilakt, das Leben mit Drachen und auf dieser Erde und mit anderen. Dabei mag ich das doch so gern. Hilft nichts als dranbleiben, weitermachen. Auf sich aufpassen.
Auch zehn Jahre nach der Klinik merke ich, dass da noch ein Haufen Arbeit in mir steckt, den ich zu bewältigen habe. Eine müde Erkenntnis mit 30. Aber immerhin wieder Schreiben. Das hat mir gefehlt.